Nachruf auf Wolfgang Donsbach
Ende eines großen Feuerwerks
Ich habe im Laufe der Jahre schon einige Nachrufe auf große Vorbilder und Lehrer schreiben müssen, die zu Freunden geworden waren: Seymour Martin Lipset, W. Phillips Davison, Elisabeth Noelle-Neumann. Doch noch nie war es so schwer, wie jetzt bei Wolfgang Donsbach.
Es ist einfach nicht zu fassen, dass er tot sein soll. Mitten im Leben, scheinbar gesund, auf dem Höhepunkt seines beruflichen Erfolgs und seines nationalen und internationalen Ansehens, brach er bei einer Partie Rollhockey, zu der er sich regelmäßig sonntags mit Freunden traf, mit einem Herzinfarkt zusammen. Er wurde gerade 65 Jahre alt.
Wie soll man da noch Trost finden? Ich persönlich finde ein wenig Erleichterung darin, dass mir in den Tagen nach seinem Tod klar wurde, dass ich ihn mir beim besten Willen nicht als alten Mann vorstellen kann. So scheint mir eine gewisse makabere innere Logik in der Tatsache zu liegen, dass er starb, bevor er alt werden konnte.
Wolfgang Donsbach hat ein Leben gehabt, das für drei Hundertjährige ausreichen würde. Es gibt wahrscheinlich nicht viele Forscher, die fast im Alleingang ein florierendes Universitätsinstitut aufgebaut haben, das nach wenigen Jahren zu den führenden seines Faches zählte, über zwei Jahrzehnte eine ebenfalls führende internationale Fachzeitschrift organisatorisch aufgebaut und betreut haben, nebenher Präsident zweier weltumspannender Fachverbände waren und in rekordverdächtiger Zeit eine zwölfbändige Enzyklopädie aus dem Boden gestampft haben, die voraussichtlich für lange Zeit das Maß aller Dinge in ihrem Fach bleiben wird.
Vermutlich von unserer gemeinsamen Lehrerin Elisabeth Noelle-Neumann hatte Donsbach die Kunst der Omnipräsenz gelernt. Er scheint einfach überall zu sein: An seinem Institut in Dresden, von wo aus er mir immer wieder Mails schrieb mit der Bitte, ihm Daten für seine Vorlesungen zur Verfügung zu stellen, in Singapur, Harvard, Kairo oder Gott weiß wo noch bei Tagungen oder als Gastprofessor, im Dresdner Lokalfernsehen, wo er zwei Talkshows moderierte, in der Dresdner Lokalpolitik und in den nationalen Radio- und Fernsehkanälen, wo er sich gerade in jüngster Zeit vehement gegen ausländerfeindliche Tendenzen einsetzte. Er war immer rastlos unterwegs, und dies meist ohne gehetzt zu wirken. In seiner zwischenzeitlichen Wohnung in Berlin hing eine Weltkarte, auf der er zum Vergnügen jeden Ort mit einer Stecknadel markiert hatte, an dem er schon einmal gewesen war. Sie sah aus wie ein riesiges Nadelkissen.
Warum musste er nun über all das hinaus ausgerechnet auch noch Rollhockey spielen? Eine sinnlose Frage. Inaktivität gab es bei ihm nicht. Hätte er nicht Rollhockey gespielt, wäre er Marathon gelaufen, hätte Paragliding oder Skispringen betrieben, und dann wäre er eben dabei gestorben. Als Fallschirmspringer kann man ihn sich gut vorstellen. Aber er hätte nie im Park die Tauben gefüttert. Natürlich fuhr er einen Porsche.
Er schien einfach nicht zu altern. Als wir uns vor einem Vierteljahrhundert in Mainz kennenlernten – er war Dozent, ich Student -, war er etwa 20 Jahre älter als ich. In den darauffolgenden Jahren holte ich ihn allmählich ein. In seiner Nähe kam ich mir, je weiter die Jahre voranschritten, zunehmend plump und unbeholfen vor, geistig wie körperlich. Eines Tages vor wenigen Jahren humpelte ich mit starken Fußschmerzen durch die Flure des Dresdner Instituts. Donsbach fragte mich, was mir fehle. Ich antwortete, es sei nichts Ernstes, aber anscheinend käme ich langsam in das Alter, in dem einen gelegentlich das Zipperlein plagt. Er lachte und sprang beneidenswert leichfüßig davon. Zu einer Festschrift, die wir zu seinem 65. Geburtstag Anfang dieses Jahres anfertigten, trug sein langjähriger Freund und Kollege Hans Mathias Kepplinger ein Foto aus den frühen 80er Jahren bei, auf dem beide abgebildet waren. Kepplinger, obwohl er für seine 72 Jahre durchaus junggeblieben und sportlich ist, war für viele jüngere Betrachter nur mit Mühe wiederzuerkennen. Donsbach dagegen hatte sich in den mehr als 30 Jahren, die seit der Aufnahme vergangen waren, praktisch nicht verändert.
Was habe ich mich über den Mann geärgert. Als Student sowieso, aber durchaus gelegentlich auch später noch. Wolfgang Donsbach konnte aggressiv und auch ungerecht sein. Er konnte seine Mitarbeiter überfordern und – vermutlich ungewollt – einschüchtern. Man konnte sich wunderbar mit ihm streiten. Er war immer unter Volldampf, immer kraftvoll, emotional, ideenreich. Er war alles Mögliche, aber – so habe ich ihn jedenfalls stets erlebt – dabei immer zutiefst anständig und niemals langweilig. Ich selbst verdanke ihm unendlich viel.
Und so scheint es mir nur folgerichtig zu sein, dass dieser Mann auch nicht langweilig sterben konnte. Sein Leben war ein Feuerwerk. Und wie jedes gute Feuerwerk endete es unerwartet, gefühlt viel zu früh und mit einem großen Knall.
Danach nur Stille und Dankbarkeit.
Thomas Petersen