Schweigespirale auf Facebook wegen Internetüberwachung

Wer den Eindruck hat, bei der Internetnutzung von staatlichen Behörden überwacht zu werden, neigt vermehrt dazu, seine Meinung zu verschweigen, wenn sie dem wahrgenommenen Mainstream widerspricht. Zu diesem Schluss gelangt eine Studie der Kommunikationswissenschaftlerin Elizabeth Stoycheff von der Wayne State University in Detroit.

In der Onlinestudie wurde 225 Teilnehmern eine fiktive Facebook-Seite präsentiert, die über erneute US-Bombardierungen von IS-Stellungen im Irak berichtete, ohne diese militärische Aktion zu bewerten. Danach wurden die Teilnehmer gefragt, inwiefern sie bereit wären, auf der Facebook-Seite ihre Meinung zu diesem Thema zu bekunden, beispielsweise durch Anklicken von „Gefällt mir“, Weiterleiten der Seite an Freunde oder Verfassen eines Kommentars. Dabei wurde die Hälfte der Teilnehmer wiederholt darauf hingewiesen, dass ihre Antworten vertraulich behandelt würden, es allerdings nicht ausgeschlossen werden könne, dass die National Security Agency (NSA) die Daten abschöpfe.

Im Anschluss daran wurden die Teilnehmer gefragt, wie sie selber die Bombardierungen beurteilten und was ihrer Einschätzung nach die Mehrheit der Amerikaner davon halte. Außerdem beantworteten sie mehrere Fragen zur Legitimität von staatlicher Online-Überwachung.

In ihren Antworten spiegelte sich der klassische Schweigespiralen-Effekt: Je weiter entfernt die jeweilige Meinung der Teilnehmer vom wahrgenommenen Mainstream war, desto weniger waren sie bereit, sie zu bekunden. Neu ist die Erkenntnis, dass bei Teilnehmern, die sich überwacht glaubten und Internetüberwachung grundsätzlich für gerechtfertigt hielten, der Effekt besonders stark ausfiel: Gleichsam in vorauseilendem Gehorsam verhielten sie sich konformistischer und übten Selbstzensur.

Staatliche Internetüberwachung kann demnach dazu führen, dass Menschen von ihrer Meinungsäußerungsfreiheit nur noch eingeschränkt Gebrauch machen. Dieser sogenannte Chilling-Effekt staatlicher Überwachung droht die verfassungsrechtliche Grundordnung demokratischer Kommunikationsprozesse zu untergraben.

Interessanterweise zeigte sich eine Minderheit der Teilnehmer jedoch völlig unbeeindruckt von Meinungsklima und Überwachungsgefahr, nämlich diejenigen, die staatliche Internetüberwachung ausdrücklich ablehnten: Ihre Meinungsäußerungsbereitschaft nahm selbst dann nicht ab, wenn sie sich mit ihrer Meinung isoliert fühlten und überwacht glaubten. Stoycheff vermutet, dass es sich bei dieser Gruppe um eine Avantgarde von gutinformierten und politisch engagierten Bürgern handeln könnte, die den Mut hätten, ihre Meinung unter allen politischen Wetterbedingungen zu bekunden. Möglich wäre nach Stoycheff jedoch auch, dass sich in dieser Gruppe Netzskeptiker befinden, die ihre persönliche Meinung aus Selbstschutz überhaupt nie online äußern würden.

Stoycheffs Studie ist eine der ersten, die sich mit den Auswirkungen staatlicher Internetüberwachung auf die Prozesse öffentlicher Meinungsbildung befasst. Zurecht fordert sie, dass diese Prozesse wissenschaftlicher genauer untersucht werden sollten, da erhöhter Konformitätsdruck und damit verbundene Unterdrückung von Minderheitsmeinungen an den Grundfesten der Demokratie rüttelten:1)Elizabeth Stoycheff: Under Surveillance: Examining Facebook’s Spiral of Silence Effects in the Wake of NSA Internet Monitoring. Journalism & … Continue reading

While proponents of [government’s online surveillance] programs argue surveillance is essential for maintaining national security, more vetting and transparency is needed as this study shows it can contribute to the silencing of minority views that provide the bedrock of democratic discourse.

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References
1 Elizabeth Stoycheff: Under Surveillance: Examining Facebook’s Spiral of Silence Effects in the Wake of NSA Internet Monitoring. Journalism & Mass Communication Quarterly, 2016, 93, 297. Übersetzung: “Während Befürworter von staatlichen Internetüberwachungsprogrammen argumentieren, dass Überwachung unerlässlich für die Wahrung nationaler Sicherheit sei, ist mehr Durchleuchtung und Transparenz erforderlich, denn Überwachung kann, wie diese Studie zeigt, zum Verstummen von Minderheitsmeinungen führen, die das Fundament demokratischer Diskursprozesse bilden.“